Marc Ries

M I T T E L W E L T E N.

Einige Anmerkung zu den FILMFARBEN-Arbeiten von Daniel Schörnig

 

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Rays are not colored. Newton

 

Ein Bild. Das Bild ist ein »Lichtbild«. Das ist die Bezeichnung für all jene Bilder, die aus einem technischen und autonomen Verfahren der Aufnahme und Fixierung der Erscheinungen der Dinge als einheitliche hervorgehen. Das Bild zeigt farbige Motive. Damit es Bild einer Wirklichkeit seiner Motive ist, muss es also Farbe werden, so wie es als erstes Abdruck ihrer Kontraste wird. Damit die Farbe der Dinge ins Bild kommt, bedarf es einer farbgebenden Technik, die das Licht zugleich auf seine für die menschliche Wahrnehmung relevanten Farbwerte hin befragt. Das Bild wird farbig. Es ist also auch seine Farbe. (Wenn ein Bild keine Farbe hat, wird hervorgehoben, dass es bloß »Schwarzweiß-Bild«, sw, sei.) Wir sehen die Lichtbilder als Reproduktionen und vergessen oftmals, dass sie aus Entscheidungen heraus zu dem geworden sind, als was sie uns erscheinen. Apparitive Entscheidungen, die vorschreiben, wie das Bild zu einem solchen wird. Hierzu heißt es bei Schelling: »Wenn das Licht das Reproduciren des Producirens selbst ist, […] ist [es] nicht zu verwundern, wenn selbst das Denken nur der letzte Ausbruch von dem ist, wozu das Licht den Anfang gemacht hat.« Denken reproduziert mit Techniken die Dingwelten, etwa als Bilder, ohne dass diese Techniken das Denken selbst zu vermitteln aufgefordert sind. Und Denken vermag auch Dingwelten aufzulösen und sie in seinen kahlen Rechenräumen zu entsubstantiali-sieren. Eigentlich ist unser »Verstehen« ein Vorgang, der versucht, die unterschiedlichen Teile des befragten Gegenstandes zusammenzu-ziehen, sie zusammenzufassen und also sie zusammenzudenken, um den Gegenstand als solchen zu begreifen, ihn zu verstehen. Es ist der Verstand, der sich auf eine solche Bewegung des Zusammenziehens von Elementen versteht, daher auch sein griechischer Name, synesis. Ein Ganzes erscheint uns also stets als ein Zusammengesetztes. Dies scheint ein notwendiges Produktionsgesetz zu sein. Insofern zerlegen wir auch gerne Dinge in ihre Einzelteile, um aus der Erkenntnis dieser dann das Ganze umso besser verstehen, vor allem es reproduzieren zu können. Am wenigsten ist ein solches Verstehen wohl angesichts von Bildern zu beobachten. Ein Bild ist notwendig ein Zusammengesetztes, doch ist weniger das Gemenge an Einzelelementen für die Betrachtung interessant, als vielmehr die Erscheinung als eine solche, als eine Ganzheit, als Totalität. Erst mit den bewegten Bildern hat sich dieses Verständnis relativiert. Nunmehr ist klar, dass wir zwar »einen Film« sehen, dieser aber stets aus vielen Einzelbildern sich zusammensetzt. Dass wir zu seiner Analyse vielleicht den Film anhalten werden, um aus einer genauen Betrachtung der Einzelbilder eine Sequenz besser zu verstehen oder sie intensiver zu genießen. Was bei dieser Operation des Anhaltens, die ja immer noch im Dienst einer nachträglichen Synthesis steht, jedoch nicht möglich ist, nämlich die stofflichen Einzelelemente eines Kaders zu separieren und sie für sich auszu-werten, dies wird Programm der neuen Gattung digitaler Bilder sein. Nun lassen sich die Bestandteile der Bilder verselbständigen. Und in ein Eigenleben überführen. Ein jedes »Pixel« erfährt einen Zuspruch als atomistisches Individuum des Bildes, kann also nach Belieben verschoben, entfernt, neu codiert werden. Gleiches passiert mit allen anderen Bildwerten. Etwa den Farben. Auch sie lassen sich nun anders denn vom vorangesetzten Algorithmus berechnen. Die neue Operation wird zum Beispiel den Durchschnittsfarbwert eines Bildes errechnen, und sie wird diesen Wert verallgemeinern und ihn als Bild selbst ausgeben. Daniel Schörnig wendet diese Operation in seinen Arbeiten FILMFARBEN, GRAUEMASSE GRÜNLICH, GRAUE MASSE BLÄULICH an. Ihr Zuspruch der neuen Bildlogik gegenüber istschlüssig, dennoch irritieren sie. Man weiß jedoch, dass es nicht die künstlerische Geste ist, die es zu befragen gilt, sondern das, was sie befolgt und erwirkt.

 

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Es sind zwei Vorgänge, die die Arbeit der synesis in perfider Weise progressieren lassen. Da ist zunächst das Herausnehmen und Isolieren der Farben von ihrer Existenz im und als Bild, seiner Körper – hinfort interessieren nur mehr sie selbst, nicht mehr ihre referentielle oder hermeneutische Funktion in einem Ganzen. Sie beginnen ein kunstvolles Eigenleben zu führen. Doch nicht lange. Ziel der »tropischen« Operation ist es, einen Durchschnittswert aller Farben zu errechnen und diesen dann als Bild absolut zu setzen. Wir sehen also eine Farbe, die es so nie gab. Sie ist ein Mittelwert. Wert aus der Mitte einer Welt des Rechnens. Diese gewaltvolle Operation, die scheinbar ihren Sinn in einer Logik technischer Verfügungsgewalten findet und einem »Nutzen« zuarbeitet, hat stets auch eine politische Absicht. Diese artikuliert sich in der Koppelung der synesis an das statisticum, an das, was »den Staat betrifft«. Eine statistische Logik also, die Durchschnittswerte errechnet, damit Zugriff auf das Verschiedene und Einzelne gewinnt. Doch was ist das, ein Durchschnittswert? »Durchschnitt«, das meint jenen unwirklichen Wert, der sich aus allen vorgefundenen, oftmals sehr unterschiedlichen Werten von Einzelkörpern ergibt, wenn man sie zusammenrechnet und durch die Zahl aller Werte teilt. Dieser Mittelwert enthält also von allen etwas, ist jedoch als solcher nicht gegenwärtig, ist zwischen allen anderen Werten, wohl auch über ihnen, enthoben allem Wirklichen. Er ist eine Schimäre, die aus einem Begehren erwächst, in einer einzigen Zahl alles voneinander abweichende Einzelne zu vereinen und zu vereinheitlichen. Um dieserart eine Vollmacht zu haben, für diesen Mittelwert Entscheidungen treffen zu können, die für alle Geltung haben werden. Statistik ist der Einbruch des Staates in das Leben der Einzelnen. Es ist die »mathema-tische Manipulation der Wirklichkeit« im Gefolge einer gesellschaft-lichen Penetration dieser Wirklichkeit als soziale, die despotische Herrschaft der großen Zahl.

 

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Die Welt ist uns eine farbige, sie ist »farbenfroh«. Ihr gestaltetes Bild gleichfalls farbig zu halten, ist ästhetische Anerkennung ihrer Diversität, der überwältigenden Verschiedenheit ihrer Körper in ihrer Farbigkeit. Ein jedes Farb-Weltbild repräsentiert auf besondere Weise eine Zeugenschaft der Existenz all derjenigen, die dieses Bild wahrnehmen. Denn nur sie werden es als genau dieses eine Farbbild wahrnehmen. Es ist ihr Bild. Das Kino als Farben-Kino ist stets auch ein Angebot, die Bindung der Zuschauer an eine Welt in ihrem vorge-sellschaftlichen Zustand, ihrem Zustand vor ihrer disziplinierten Normalisierung, ihrer konformen Vereinheitlichung, an eine Welt, die das uns Gemeinsame in ihrer Vielfalt ausdrückt, zu feiern. In vielen Filmen gibt es Taten und Ereignisse, die Alltägliches unterbrechen und Abweichungen der Körper inszenieren. Aus diesen Abweichungen, also Fällen, die das Normale sprengen, es überhöhen und oftmals gewaltvoll Ästhetisieren, gewinnt das Kino seine Attraktion für die vielen, die innerhalb einer vorgegebenen Normalität sich verhalten müssen. Kino aus singulären Taten und Ereignissen, Kino als Abweichung und Verausgabung. Wendet man das Kalkül des Farbdurchschnittswertes auf die Gegenstände des Kinos an, so hat man diese Gegenstände bereits unter der Hand eliminiert, sie nämlich als Abweichungen in dasjenige Medium eingeebnet, in dem sie zwar erscheinen, das sie aber gerade nicht sind. Farben verhalten sich in der Berechnung des Durchschnitts ihres Erscheinens in einem technischen Bildraum erwartungsgemäß negativ, das Ergebnis ist grau. Also indifferent, entsubjektiviert, gleichgültig. Die Operation erweist sich als erfolgreich gescheitert. Sie demonstriert ihre universelle Verfügungsgewalt und exekutiert ihren Gegenstand. Das ist überall dort zu beobachten, wo »Mittelwerte« berechnet werden, um Systeme oder Politiken zu legitimieren. Newtons Physik mag sich gefallen in der lakonischen Behauptung, dass in »seiner« Welt der physikalisch messbaren Strahlung keine Farbe sich vorfindet. Angewendet auf die soziale Welt, wird die strikte Befolgung der Eigenlogik sowohl von Statistik wie von Digitalität auf die »Farbwelt« zu einer absurden Feier der Willkür instrumenteller Ver- nunft. Dies zu zeigen, ist nun sehr wohl ein Gewinn der künstlerischen Geste Daniel Schörnigs.

 

Der Text verdankt vieles den Überlegungen von Hannah Arendt zur »despotischen Herrschaft« der »großen Zahlen« in: Vita Activa oder Vom tätigen Leben. München: Piper 1996, S. 55ff. Das Schelling-Zitat ist entnommen: Heide Schlüpmann, Öffentliche Intimität. Die Theorie im Kino. Frankfurt/M.: Stroemfeld 2002, S. 12.